Kooperatives Lernen digital: Sind wir bereit?

Interview mit Prof. Dr. Lysann Zander und Kim Jördens

Wissenschaftliche Ergebnisse aus Co³Learn

Wie gut sind Hochschulakteur*innen auf digitales kooperatives Lernen vorbereitet?

Das Projekt Co³Learn liefert spannende wissenschaftliche Erkenntnisse zu Chancen und Herausforderungen kooperativen Lernens im digitalen Raum – für Studierende und Lehrende gleichermaßen.

In diesem Beitrag stellen Kim Jördens und Prof. Dr. Lysann Zander zentrale Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitstudie vor. Eine umfassende Befragung untersuchte, wie digitale Tools eingesetzt und genutzt werden – und welche Rolle dabei Einstellungen und Rahmenbedingungen spielen. Die Auswertung zeigt: Viele Tools werden bislang nur begrenzt genutzt. Im Mittelpunkt stehen daher nicht nur technische Aspekte, sondern auch die kooperativen Mindsets von Studierenden und Lehrenden sowie das Veranstaltungsklima als Schlüsselfaktor für gelingende Zusammenarbeit.

Das Team der wissenschaftlichen Begleitung führte in regelmäßigen Abständen in verschiedenen Lehrveranstaltungen an den drei Verbunduniversitäten TU Braunschweig, Georg-August-Universität Göttingen sowie der Leibniz Universität Hannover Befragungen durch. Daran nahmen sowohl die Studierenden als auch die Lehrenden aus über 50 Lehrveranstaltungen teil. Es wurde zum Beispiel nach Einstellungen zum Studium, dem Einsatz von digitalen Tools und dem Wohlbefinden von Studierenden gefragt.

Welche Erkenntnisse liefert die Studie zur Wahrnehmung von Studierenden beim digitalen kooperativen Lernen? Unter welchen Bedingungen gelingt digitale Zusammenarbeit?

Wir befinden uns noch mitten in der Auswertung der umfangreichen Datensätze; die Ergebnisse werden schrittweise wissenschaftlich publiziert. Aus den bisherigen Analysen lassen sich aber bereits drei Einsichten ableiten, die über die Frage „funktioniert digital oder nicht?“ hinausgehen. Erstens zeigt sich im Querschnitt ein klares Muster: Studierende mit kooperativen Mindsets erleben das Kursklima häufiger als unterstützend, und dieses wahrgenommene Kursklima hängt wiederum damit zusammen, ob digitale Kooperationsprozesse als lernförderlich bewertet werden (Jördens/Nöth/Zander 2024). Entscheidend ist damit weniger das Tool an sich als seine soziale und didaktische Einbettung – also ob die Lernumgebung Orientierung, Fairness, Wertschätzung und psychologische Sicherheit vermittelt. Zweitens verschiebt die Längsschnittanalyse den Blick: Ein positives Kursklima trägt langfristig dazu bei, dass kooperative Mindsets stärker werden, nicht aber umgekehrt (Jördens/Nöth/Zander 2025). Mindsets erscheinen damit nicht als fixe Eigenschaft, sondern als durch Erfahrungen formbar; Kursgestaltung wird zur zentralen Stellschraube, weil sie kooperative Haltungen überhaupt erst verlässlich hervorbringt und stabilisiert. Drittens ergänzt ein weiteres Paper diese Perspektive um ein konkretes Verhaltensbindeglied: In einer Studie fanden wir, dass Studierenden mit kooperativen Mindsets eher konstruktiv und selbstbestimmt Hilfe suchen (autonomieorientiertes Help-Seeking) und Hilfe seltener vermeiden – und dieses Hilfeverhalten steht wiederum mit höherem akademischem Engagement in Verbindung, besonders deutlich bei männlichen Studierenden (Zander/Halabi/Höhne i.E.). Besonders überraschte uns der Befund, dass entgegen verbreiteter Erwartungen MINT-Studierende im Mittel sogar stärkere kooperative Mindsets als Nicht-MINT-Studierende zeigten. Das deutet darauf hin, dass gerade in MINT ein relevantes Kooperationspotenzial vorhanden sein kann, das jedoch nicht automatisch sichtbar und vor allem nicht automatisch genutzt wird. Da kommen die Dozierenden in’s Spiel! 

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Was können Lehrende tun, um Toolnutzung und gelingende Zusammenarbeit zu begünstigen?

Unser Eindruck ist: Kooperation ist in vielen Lehrveranstaltungen bereits fest verankert, und Studierende erkennen grundsätzlich ihren Wert. Gleichzeitig ist die Bewertung von Gruppenarbeit häufig ambivalent, weil viele Studierende negative Erfahrungen machen – etwa durch ungleiche Arbeitsverteilung, Unzuverlässigkeit, unklare Erwartungen oder als unfair empfundene Bewertungspraktiken (zum Beispiel gleiche Note für alle trotz unterschiedlicher Beiträge). Klar ist: Kooperation ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Kompetenz, die gezielt aufgebaut werden muss. Lehrende können das unterstützen, indem sie Kooperationsphasen (Lernen und Üben) und Performanzphasen (Bewertung und Prüfung) bewusst trennen, Transparenz in Zielen, Rollen, Abläufen und Bewertungskriterien herstellen (einschließlich nachvollziehbarer Kriterien für individuelle Beiträge) und Aufgabenformate wählen, in denen Kooperation einen echten Mehrwert erzeugt, etwa durch arbeitsteilige Perspektiven, wechselseitige Abhängigkeiten und gemeinsame Syntheseprodukte statt bloßer Aufteilung in Einzelteile. Digitale Tools sollten dabei nicht „on top“ eingesetzt werden, sondern funktional an den Kooperationsprozess gekoppelt sein, beispielsweise für gemeinsames Planen, Dokumentieren, Feedback oder Versionierung. Dies war jedoch nicht Thema unserer wissenschaftlichen Begleitstudie.

Welche Aspekte sind bei der Zusammensetzung der Kleingruppen mit Blick auf Diversität zu beachten?

Für heterogene Gruppen ist aus der Forschung und aus Praxiserfahrungen besonders wichtig, Zeit und Struktur für den Aufbau einer gemeinsamen Grundlage einzuplanen, also für eine gemeinsame Wissensbasis, geteilte Erwartungen sowie Kommunikations- und Arbeitsregeln. Gerade rein digitale Startphasen können das erschweren. Günstig kann ein Wechsel von Präsenz- und Digitalphasen sein, insbesondere um Vertrauen aufzubauen, Missverständnisse zu reduzieren und gemeinsame Routinen zu etablieren. Diese Punkte stammen allerdings eher aus Erfahrung, der breiteren Forschung und Praxisliteratur, hier bedarf es noch systematischer Forschung; sie waren nicht Kern der wissenschaftlichen Begleitforschung im Projekt.

 

Wie können Lehrende die Akzeptanz von Toolnutzung für digitale Kollaboration unterstützen?

Akzeptanz steigt typischerweise, wenn Lehrende Anreize für den Einsatz schaffen und Modelllernen ermöglichen: also Tools sichtbar und selbstverständlich nutzen, den Mehrwert konkret demonstrieren und eine offene, zuversichtliche Haltung vorleben, statt Unsicherheit oder Abwehr zu signalisieren. Eine Kultur von Neugier und Erprobung zusammen mit einer offenen und konstruktiven Gesprächsatmosphäre über Herausforderung bei der Nutzung kann sehr hilfreich sein. Auch dieser Bereich wurde im Projekt nicht systematisch untersucht, ist aber eine relevante Anschlussfrage für ein Folgeprojekt.

Wie können Serviceeinrichtungen (Rechenzentrum, Beratung Hochschuldidaktik) Lehrende und Studierende beim Einsatz von Tools für gelingende Kooperation unterstützen?

Serviceeinrichtungen spielen eine Schlüsselrolle, damit digitale Kooperations-Tools wirksam und nachhaltig genutzt werden. Aus unserer Erfahrung sind vor allem drei Aspekte entscheidend: Erstens eine praxisnahe und kontinuierliche Begleitung der Lehrenden, denn erst wenn sie Sicherheit im Tool-Einsatz gewinnen, wird dieser zuverlässig in der Lehre umgesetzt. Zweitens eine ressourcenschonende Unterstützung, weil Lehrende nur begrenzte Zeit haben; hier helfen kurze, zielgerichtete Schulungsformate, Best-Practice-Beispiele, Vorlagen sowie niedrigschwelliger Support, etwa Sprechstunden oder kompakte How-to-Materialien. Drittens die Befähigung der Lehrenden, Studierende strukturiert in die Toolnutzung einzuführen. Das ist zwar zusätzlicher Aufwand, zahlt sich aber aus: Gut vorbereitete Lehrende und informierte Studierende schaffen gemeinsam die Grundlage für gelingende digitale Kooperation.

Literatur

  • Jördens, K. A., Nöth, L., & Zander, L. (2025, September). Wie das Kursklima ein kooperatives Mindset bei Studierenden fördert: Eine längsschnittliche Analyse universitärer Lehrveranstaltungen. Vortrag auf der 20. Tagung der Fachgruppe Pädagogische Psychologie (PAEPS), Jena, Deutschland.

  • Jördens, K. A., Nöth, L., & Zander, L. (2024). How cooperative mindsets and course climate relate to the perceived impact of digital cooperation on learning in higher education. Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift Für Angewandte Organisationspsychologie (GIO). https://doi.org/10.1007/s11612-024-00782-0

  • Zander, L., Halabi, S. & Höhne, E. i.E. (accepted with minor revisions). The Power of We: How Cooperative Mindsets Predict Help-Seeking Strategies and Academic Engagement in STEM and HEED Fields. International Journal of Gender, Science and Technology.

Interviewpartnerinnen

Prof. Dr. Lysann Zander, Leiterin Empirische Bildungsforschung, Leibniz Universität Hannover

Kim A. Jördens, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Leibniz Universität Hannover