Textarbeit gemeinsam denken

– Eine studentische Perspektive auf kollaboratives Lesen als Vorbereitung für Seminare

von Juliana Arosemena und Lea Hinrichs

Was ist das Tool SHRIMP und wie kann es am besten im Studium eingesetzt werden? Juliana Arosemena und Lea Hinrichs, zwei studentische Mitarbeiterinnen aus dem Verbundprojekt Co³Learn, haben sich über das Tool und dessen Einsatzmöglichkeiten im Studium sowie in der Lehre ausgetauscht. Juliana hat im Selbststudium und in Zusammenarbeit mit anderen Studierenden sowie Mitarbeitenden des Projektes mit SHRIMP experimentiert. Dadurch hat sie einen guten Überblick über das Tool und dessen Potenzial für Zusammenarbeit und gemeinsames Lesen und Lernen bekommen. In ihrem Gespräch betonen Lea und Juliana die Möglichkeiten, die SHRIMP als Tool für das gemeinsame Lehren und Lernen bietet und wie es eingesetzt werden kann.

Abbildung 1: Lea und Juliana (v. links) im Podcast-Tonstudio des Sandkastens (TU Braunschweig).

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Intro & Vorstellung

Das Tool SHRIMP & Social Reading

SHRIMP ist eine Software, mit der PDF-Dokumente gemeinsam und asynchron von mehreren Nutzer:innen annotiert werden können. Von Kommentar- und Textmarkierungsfunktionen über Emoji-Reaktionen bis hin zur Link-Einbettung ist SHRIMP eine App, die das Konzept von Social Reading — das gemeinsame Lesen von Texten als soziale Erfahrung — ortsunabhängig ermöglicht. Juliana ist durch ihre Arbeit im Verbundprojekt Co³Learn auf SHRIMP gestoßen und hat großes Potenzial in der App als ergänzendes Tool für ihr Studium erkannt.

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Kollaboratives Annotieren

Gemeinsames Lesen und Annotieren mit und in SHRIMP für Seminardiskussionen

Anstatt klassische Seminar­diskussionen zu ersetzen, versteht Juliana das Lesen von (wissenschaftlichen) Texten in SHRIMP als ideale Vorarbeit für eine gelungene Diskussion im Seminarraum. Gründe, weshalb sich Studierende nicht an Diskussionen beteiligen, können vielfältig sein. Viele Studierende bringen Unsicherheiten mit z.B., ob die eigenen Gedanken zur Diskussion passen – auch Juliana kennt diese Situation: „Ich selbst, im vierten Mastersemester, habe immer noch Momente, in denen ich mich frage, ob meine Gedanken zum Text überhaupt hilfreich oder relevant sind.“ 

SHRIMP bietet hier eine niedrigschwellige Möglichkeit, erste Gedanken, Unklarheiten oder Eindrücke zu teilen, ohne gleich im Seminar das Wort ergreifen zu müssen. Wenn Studierende gemeinsam Texte annotieren, entstehen sichtbare Anknüpfungspunkte, auf die im Seminar direkt Bezug genommen werden kann. Entlang der einzelnen Kommentare und Reaktionen können Studierende und Lehrende dann auch die Diskussion gezielter ausrichten.

Abbildung 2: Selbst erstellter Screenshot von Annotationen in SHRIMP mit Genehmigung von SHRIMP erstellt. CC BY-SA 4.0.

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Unterschiede zur bisherigen Lektürevorbereitung

Vorteile bei der Nutzung von SHRIMP für Studierende

SHRIMP bietet die Möglichkeit, das akademische Lesen zu schulen. Beispielhaft könnten Studierende in Tutorien zur Einführungsvorlesung in der Kunstwissenschaft gemeinsam an einem Text arbeiten und dabei erste Erfahrungen mit dem Kommentieren, Fragenstellen oder dem Verlinken von Inhalten sammeln. Hier könnten niedrigschwellige Anforderungen (z.B. fünf Reaktionen pro Person) helfen, die Auseinandersetzung mit dem Text zu fördern. Langfristig können Studierende so auch Sicherheit für die Arbeit mit wissenschaftlichen Texten gewinnen. Juliana sieht in diesem Zusammenhang eine weitere Chance: Für den weiteren Studienverlauf könnten bereits frühzeitig Lesen und Diskutieren eingeübt werden und damit Beteiligungshemmungen gesenkt werden.

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Vorteile für Studierende der Kunstwissenschaft

Unsicherheiten beim wissenschaftlichen Lesen und Diskutieren abbauen

Was Juliana aus den Online-Veranstaltungen während der Corona-Pandemie gelernt hat: Viele Studierende bevorzugten es, sich über den Chat zu äußern anstatt das Mikrofon zu nutzen. Gründe hierfür könnten Nervosität oder die Angst, etwas „Falsches“ zu sagen, sein. Möglicherweise bietet das Schreiben einen anderen Schutzraum. Auch wenn Annotationen in SHRIMP mit Namen angezeigt werden, schafft das digitale Interface eventuell eine Entlastung. Das Annotieren kann asynchron erfolgen, die Stimme bleibt außen vor und die Sichtbarkeit der eigenen Meinung wirkt weniger exponiert als im Seminarraum. Für Studierende, die eher zurückhaltend agieren, könnte die Nutzung des Tools daher ein erster Schritt sein, sich intensiver in Diskussionen einzubringen und die eigenen Gedanken zu teilen.

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Unsicherheiten durch SHRIMP abbauen

Vorbereitung des Lesens in und mit SHRIMP

Juliana betrachtet die Vorbereitung für das Arbeiten mit SHRIMP in Seminaren aus zwei Perspektiven. Als Studentin würde sie sich einen Ordner (in SHRIMP werden diese „Pod“ genannt) mit allen für das Seminar relevanten Texten wünschen. Um dem Fall vorzubeugen, dass nur einzelne Studierende einen Text im Vorfeld des Seminars gelesen haben, könnte die Lehrperson die Erwartung formulieren, dass jede:r zwischen fünf und zehn Interaktionen im Text hinterlässt. Hier wären sowohl Kommentare, Emoji-Reaktionen, Fragen als auch Verweise auf andere Texte oder Bilder denkbar. Wenn Studierende gemeinsam Texte annotieren, entstehen sichtbare Anknüpfungspunkte, auf die im Seminar direkt Bezug genommen werden kann. Entlang der einzelnen Kommentare und Reaktionen können Studierende und Lehrende dann auch die Diskussion gezielter ausrichten. Aus der Perspektive von Tutor:innen könnte sich Juliana vorstellen, Studierende mit dem Tool beim akademischen Lesen über Vorlesungen hinaus zu begleiten und somit über den Austausch zu Texten ein tieferes Verständnis des Gelesenen zu begünstigen. In beiden Fällen bietet der Einsatz von SHRIMP für die Lehrperson eine Möglichkeit festzustellen, ob ein Text von allen Teilnehmenden gelesen wurde. Dies sei der erste Schritt für eine gelungene Diskussion im Seminar. Juliana und Lea sind sich in diesem Zusammenhang einig, dass vor allem die Seminare, in denen wirklich Austausch stattfand, den beiden im Gedächtnis blieben.

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Angepasste Seminarvorbereitung für Studierende und Lehrende

Nutzung von SHRIMP über Seminarkontexte hinaus

SHRIMP ist nicht nur ein Tool für die gemeinsame Lektüre für oder im Seminar, sondern kann auch bei der Überarbeitung eigener wissenschaftlicher Arbeiten helfen. Beispielsweise kann SHRIMP für Feedbackprozesse im Rahmen von Haus- oder Abschlussarbeiten eingesetzt werden und bietet damit eine datenschutzkonforme Möglichkeit, zentral gebündelt und in dialogischer Form Rückmeldungen von Komiliton:innen zu erhalten, ohne dass Formatierungsschwierigkeiten auftreten. Auch Lea bestätigt dies: „Das Tool hätte mir auch sehr bei der Korrektur der Masterarbeit geholfen, weil ich mich gegen Google Docs entschieden habe, um Formatierungsfehler zu vermeiden.“  Juliana ergänzt außerdem ihren Aha-Moment: „Durch das gemeinsame Annotieren, habe ich Einblicke erhalten, wie andere Menschen Texte lesen. Im Rahmen von Referaten lernen wir voneinander, was eine gute Präsentation ausmacht. Beim Social Reading in SHRIMP ist das nicht anders. Somit können wir uns Strategien des Lesens voneinander abschauen und das eigene Vorgehen beim Lesen reflektieren.“ 

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SHRIMP für Feedback und Zusammenarbeit

Wünschenswerte Features für SHRIMP

Gerade aus der Perspektive von Studierenden, die mit Tablets oder digitalen Stiften arbeiten, könnten handgezeichnete Annotationen als Feature eine Bereicherung sein. Skizzen oder Zeichnungen zu erstellen, wäre für diejenigen, die visuell lernen und arbeiten, eine tolle Ergänzung. Darüber hinaus wäre eine Mindmap-Funktion hilfreich, z.B. über freies Zeichnen oder direkt als integriertes Tool. Eine Funktion zum Einfügen von leeren Seiten für eigene Notizen oder Zusammenfassungen könnte das Arbeiten mit SHRIMP ebenso bereichern. Somit könnten die unmittelbare Arbeit am Text sowie weiterführende Ausarbeitungen in der gleichen Software bleiben.

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Wünsche an SHRIMP

Fazit zur Nutzung von SHRIMP

Juliana und Lea teilen abschließend den Eindruck, dass der Austausch über Texte in SHRIMP viele Bereiche des Studiums sowie das Lesen und die Leseerfahrungen bereichern kann. Für den Kontext von Seminaren, Gruppenarbeiten und Feedbackprozessen zu Texten wäre es aus Julianas Sicht daher wünschenswert, wenn mehr Studierende und Lehrende SHRIMP testen und anwenden würden.

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Fazit und Abschluss

Einen Überblick und weiteres Material zum Thema „Social Reading in der Hochschule“ sowie konkrete Tipps zum Umgang mit SHRIMP finden Sie hier.

Autorinnenprofil

Juliana Arosemena unterstützt das Projekt Co³Learn als studentische Hilfskraft und bringt besonderes Engagement dafür mit, dass Hochschullehre vielfältige Lernformen und -kontexte integriert. Sie schätzt die Möglichkeit, durch standortübergreifende Online-Lehre den Zugang zu einer breiteren Auswahl an Kursen für die persönliche und akademische Entwicklung zu ermöglichen.

Lea Hinrichs, M.A. hat ihr Masterstudium Kultur der technisch-wissenschaftlichen Welt an der Technischen Universität Braunschweig 2025 beendet. Für ihre Masterarbeit befasste sie sich im Rahmen einer qualitativ-ethnographischen Erhebung mit der studentischen Rezipient*innen-Perspektive auf wissenschaftliche Inhalte in sozialen Medien. Zuvor hat sie Kulturanthropologie und Kunstgeschichte (B.A.) in Göttingen studiert. Von 06/2023 bis 03/2025 unterstütze sie das Projekt Co³Learn als studentische Hilfskraft im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit.

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